Der Selische See bei Erxleben
Zum Kreise Gardelegen gehörte ehemals auch das Dorf Ostingersleben bei Erxleben. Ein Teil der Feldmark dieses Dorfes führt den Namen „der Selische See“. Wo jetzt der Pflug fruchtbares Ackerland bearbeitet, und wo im Sommer wogende Saatfelder das Herz des Wanderers erfreuen, rauschten noch zu Anfang des 18. Jahrhunderts die Wasser eines Sees, der einen Umfang von anderthalb Meilen hatte. Ursprünglich soll hier eine blühende Stadt, namens Sela, gestanden haben. Da aber ihre Einwohner in den Sünden und Lastern der Bewohner von Sodom und Gomorrha lebten, traf sie ein gleiches Schicksal wie diese beiden Städte; ihre Stätte wurde von dem Wasser verschlungen. Der See war sehr fischreich, so dass an seinen Ufern die Bewohner schwunghaften Fischfang treiben konnten. Wiederholt wollten die Fischer bei ruhigem, klarem Wasserspiegel in der Tiefe die Häuser, Mauern und Straßen der versunkenen Stadt gesehen haben. In der Mitte des Sees befand sich auch eine kleine Insel, auf welcher sich ein Fischerhaus der Besitzer von Alvensleben erhob. – Im Jahre 1719 ist der See abgelassen und entwässert worden.
Quelle: Lehrmann, in: Altmärkischer Sagenschatz, 1908, S. 86
Eine andere Version der Sage.
Unweit von den Orten Erxleben und Ostingersleben, welche früher dem altmärkischen Kreise Gardelegen zugerechnet wurden, befand sich ehedem ein großer See mit etwa anderthalb Meilen im Umfang. Die Herren von Alvensleben hielten allein acht Pachtfischer darauf, welche meist zu Uhrsleben wohnten und auch auf dem so genannten Nesselberge, einer Insel im See, ein eigenes Fischerhaus besaßen. Die Herren von Alvensleben machten mit der Familie noch im 17. Jahrhundert oftmals in Gondeln Spazierfahrten auf diesem See zu einem auf einer lieblichen Insel befindlichen Lusthause.
An der Stelle des Sees hat nach der Sage früher eine große Stadt gestanden mit dem Namen Sela oder Selen. Da die Einwohner dieser Stadt gottlos waren und in großen Sünden lebten wie in Sodom und Gomorrha, so strafte sie Gott damit, dass ihre Stadt eines Tages plötzlich in der Tiefe versank. Über derselben in der Vertiefung bildete sich ein großer See. Von der versunkenen Stadt Sela erhielt nun dieser See den Namen „Selischer See“.
Frühere Fischer, welche bei klarem Wetter auf dem See ihre Netze auswarfen, haben erzählt, sie hätten die Gassen und Gebäude der Stadt Sela sowie die Überbleibsel von Mauern auf dem Grunde des Sees liegen sehen.
Im Jahre 1720 wurde auf Veranlassung des Königs Friedrich Wilhelm I. nach Vereinbarung mit den Herren von Alvensleben der See abgelassen und ausgetrocknet, sodass man jetzt an der Stelle des früheren Seelischen Sees eine große weite Wiesenfläche erblickt.
Quelle: Alfred Pohlmann: Sagen aus der Wiege Preußens und des Deutschen Reiches, der Altmark. Stendal 1901, S. 168-169 – nach Peter-Wilhelm Behrends: Neuhaldenslebensche Kreischronik. Teil II. Neuhaldensleben 1826, S. 454/455. - nach Bekmann histor. Beschr. v. Brandenburg. Th. 5. Buch 4. Cp. 4. S. 90, Zarnack, S. 265 ff, Temme: Die Volkssagen der Altmark. Deutsche Märchen und Sagen, S. 28.
Am Ufer des Selischen Sees konnte man noch lange Zeit die Reste alten Mauerwerkes sehen. Hier sollen sich einst zwei klösterliche Tempelherren-Schlösser, Allerseligen und Allerseelen genannt, befunden haben, die nach der Aufhebung des Ordens verwüstet wurden. (Quelle: Behrends, 1826, S. 455).
An die Sage der versunkenen Stadt Sela erinnert auch der Glaube des Volkes, dass an der Stelle, wo sich einst der Selische See befand, eine große Glocke gefunden wurde. Diese hängt jetzt auf dem Kirchturm des Dorfes Uhrsleben bei Erxleben. (Quelle: Altmärkischer Sagenschatz. Gesammelt von dem Lehrerverband der Altmark. Leipzig und Berlin 1908, S. 141)
Bei Kantor Bock (1920, S. 234) findet sich hierzu folgendes Gedicht:
Der Ochsenberg bei Uhrsleben
Quelle: Brüder Grimm: Deutsche Sagen. Kassel 1816/18, Nr. 113 (nach Prätorius, 1668), siehe auch Zarnack, 1772, S. 265 ff.