Ludolf Hermann v. Alvensleben
1901-1970 | auf Schochwitz, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS und Polizei
Ludolf Hermann v. Alvensleben – seit seiner Kindheit „Bubi“ genannt – wurde am 17. 3. 1901 in Halle a. d. S. geboren. Seine Eltern waren der Generalmajor Ludolf v. Alvensleben (1844-1912) und dessen Frau Antoinette Freiin v. Ricou (1870-1950). Schon früh verlor er seinen Vater und erbte das seit 1849 verpachtete Gut Schochwitz mit Krimpe und Wils. Er war verheiratet mit Melitta v. Guaita (1905-1991) und hatte mit ihr vier Kinder.
1911 Eintritt in die Preußische Kadettenanstalt in Naumburg, 1918 Fahnenjunker, aber kein Kriegseinsatz mehr, danach landwirtschaftliche Ausbildung. 1923-1928 Bewirtschaftung des Gutes Storkau als Pächter. 1928 Aufgabe der Pachtung und Umzug nach Schochwitz, dessen Landwirtschaft weiterhin verpachtet war. Am 1.9.1929 Eintritt in die NSDAP und SA, Leiter der Ortsgruppe Eisleben, dann Bezirks- und Kreisleiter im Mansfelder Industriegebiet, intensive politische Tätigkeit (u.a. als Parteiredner) und heftige, z.T. gewalttätige Auseinandersetzungen mit den politischen Gegnern von KPD und SPD (u.a. „Eisleber Blutsonntag“), 1933 Mitglied des Kreistages, kommissarischer Landrat von Eisleben, Mitglied des preußischen Landtages und des Reichstages. 5.4.1934 Eintritt in die SS als Obersturmbannführer und Übernahme der SS-Standarte 46 in Dresden, 1.10.1935 Übernahme der SS-Standarte 26 in Halle, 20.4.1936 Standartenführer, 20.9.1936 Übernahme des SS-Abschnitts X in Stuttgart, 1.7.1937 gleiche Funktion im Abschnitt XXXIII in Schwerin, 30.1.1937 Oberführer. 14.11.1938 bis 3.9.1939 Chef-Adjutant des Reichsführers SS Heinrich Himmler. Vom 13.9. bis 22.11.1939 als Leiter des Volksdeutschen Selbstschutzes in Westpreußen abkommandiert, in dieser Zeit für Massenexekutionen von Polen verantwortlich, die als Vergeltungsmaßnahmen für zuvor von Polen an Volksdeutschen verübte Greuel (z.B. „Bromberger Blutsonntag“) gerechtfertigt wurden, vor allem aber der Dezimierung der polnischen Führungsschicht („Intelligenzaktion“) dienten (Broszat, 1961, 1965, S. 63/64).
Meldung von Ludolf v. Alvensleben an den SS-Obergruppenführer Daluege vom 7.10.1939: „Mit den schärfsten Maßnahmen musste vorgegangen werden gegen 4247 ehemalige polnische Staatsangehörige“. Dez. 1939 bis Dez. 1940 beim Stab des Höheren SS- und Polizeiführers „Ost“, Friedrich Wilhelm Krüger in Krakau, während dieser Zeit vom 25.4. bis 10.6.1940 Teilnahme am Westfeldzug beim Regiment „Germania“ der Waffen-SS, 1.8.1940 SS-Brigadeführer, Februar bis Mai 1941 Reichssicherheitshauptamt, 1.1.1942 Generalmajor der Polizei, 6.12.1941 Ernennung zum SS- und Polizeiführer in Taurien mit Dienstsitz in Simferopol (Halbinsel Krim), Dienstantritt aber erst am 27.5.1942 (Angrick, S. 510/11), dort vor allem in der Partisanenbekämpfung und Ansiedlung von Volksdeutschen eingesetzt. 9.11.1943 SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei. 19.11.1943 bis etwa 15.2.1944 im SS-Lazarett Hohenlychen. Ab 19.2.1944 bis Kriegsende Höherer SS- und Polizeiführer Elbe in Dresden. 1.7.1944 Generalleutnant der Waffen-SS und der Polizei. 15.1.1945 Übernahme des Gutes Schochwitz aus der Pacht, nachdem der Pächter Wentzel als Mitwisser der Staatsstreichpläne des 20. Juli 1944 hingerichtet worden war. Nach Kriegsende zunächst untergetaucht, am 2.8.1946 in Hamburg verhaftet und in das Lager Neuengamme überstellt, aus dem er bereits nach wenigen Wochen wieder fliehen konnte. 1948/49 Flucht über Italien nach Argentinien unter dem Decknamen Theodor Kremhart (nicht Carlos Lücke), wohin ihm im Oktober 1950 seine Frau Melitta mit den drei jüngeren Kindern folgte. 15.12.1952 argentinische Staatsbürgerschaft unter seinem richtigen Namen. Übersiedlung mit seiner Familie nach Santa Rosa de Calamuchita, Provinz Cordoba, wo er am 1.4.1970 starb.
Staatsanwaltliche Ermittlungen und Haftbefehle
1960-65 „Tuchelprozess“ gegen Heinrich Moczek u.a. vor dem Landgericht Mannheim (Az: 1 Ks 1/64), in dem Ludolf v. Alvensleben als Hauptverantwortlicher für die 1939 vorgenommenen Exekutionen des Selbstschutzes in Westpreußen schwer belastet wird. 1964 Haftbefehl des Amtsgerichts München (Az: I-156/64 –BArch B 162/19156), 1965 weiterer Haftbefehl des Amtsgerichts Mannheim in dieser Sache (Az: 1 GS 234/65 – BArch B 162/19156). Auslieferung konnte nicht erreicht werden, da Alvensleben als argentinischer Staatsbürger gegen Auslieferung durch die argentinische Verfassung geschützt war. Zwei weitere 1966 bzw. 1968 eingeleitete Vorermittlungsverfahren der Zentralstelle Ludwigsburg gegen ihn wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen auf der Halbinsel Krim (Az. II 213 AR – Z 43/67 – BArch B 162/7054) und in Gaisin, Ukraine (Az II 213 AR – Z 27/68 – BArch B 162/8295)) wurden wegen nicht hinreichenden Tatverdachts wieder eingestellt.
Literatur
Originalquellen:
- SSO-Akten des Berlin Document Center (jetzt NS 19 Bundesarchiv Berlin)
- Bundesarchiv, Außenstelle Ludwigsburg, BArch B 162 (Bestände der Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen), B 162/19156+19157, B 162/8295, B 162/7054-7064
- Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Detention Report über Ludolf Hermann v. Alvensleben
Simon Wiesenthal Archiv Wien: Akte Ludolf Hermann v. Alvensleben (1901-1970) - Familienarchiv
Sekundärliteratur:
- Helmuth Kretzschmar: Geschichtliche Nachrichten von dem Geschlecht von Alvensleben seit 1800. Burg 1930, S. 152-153, 156-157.
- Martin Broszat: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939-1945. Stuttgart 1961, 1965, 227 S. (detaillierter Überblick, der die Einordnung der Aktivitäten des Selbstschutzes in die politischen Pläne der NS-Führung ermöglicht, erwähnt auf S. 32, 63/64 die Rolle von LvA).
- Jaques Gandebeuf: „Bubi starb in seinem Bett …“. France Journal. Mehrteilige Artikelserie beginnend am 6./7. 2. 1972 (erste ausführliche – journalistische – Recherche über LvA, allerdings mit vielen Fehlern) – Französische Fassung in „Le Républicain Lorraine“ (9.1.1972 und folgende Ausgaben).
- Tadeusz Kur: Trzy srebrne róże znacza̧ szlak zbrodni. Saga rodu von Alvenslebenow – Wyd. 1. – Warszawa 1975. – 227 S. (eine Darstellung der Alvenslebenschen Familiengeschichte aus polnischer Sicht in der Zeit des kalten Krieges).
- Ruth Bettina Birn: Die Höheren SS- und Polizeiführer. Düsseldorf 1986 (umfassende Auswertung des Archivmaterials mit wissenschaftlichem Anspruch, in Bezug auf LvA einige Recherchemängel, die in der nachfolgenden Literatur häufig übernommen werden).
- Christian Jansen, Arno Heckbecker: Der „Volksdeutsche Selbstschutz“ in Polen 1939/40. Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte. München 1992 (gründliche Analyse auf der Basis deutscher und polnischer Quellen).
- Andreas Schulz, Günter Wegmann: Die Generale der Waffen-SS und der Polizei. Band 1. Biblio-Verlag Bissendorf 2003, S. 16-21 (detaillierte Zusammenstellung der biografischen Daten mit Recherchemängeln, die aus anderen Quellen übernommen wurden).
- Joachim Lilla unter Mitarbeit von Martin Döring und Andreas Schulz: Statisten in Uniform. Die Mitglieder des Reichstages 1933-1945. Ein biographisches Handbuch. Düsseldorf 2004, S. 14-15 (Angaben im Wesentlichen aus Schulz/Wegmann übernommen).
- Andrej Angrick: Besatzungspolitik und Massenmord. Die Einsatzgruppe D in der südlichen Sowjetunion 1941-1943. Hamburger Edition 2003, S. 510-511, S. 530-531, S. 541-543 (erwähnt einzelne Aktivitäten von LvA auf der Krim).
- Heinz Schneppen: Odessa und das Vierte Reich. Mythen der Zeitgeschichte. Berlin 2007, S. 126/127 (enthält eine Kurzbiografie von LvA).
- Gerald Steinacher: Nazis auf der Flucht. Wie Kriegsverbrecher über Italien nach Übersee entkamen. Innsbruck, Wien, Bozen 2008 (sehr umfassende Auswertung originärer Quellen, jedoch leidet die Arbeit – wie Schneppen in einer Rezension in der FAZ vom 30.10.2008 gezeigt hat – unter Recherchemängeln, so in einem kurzen Abschnitt über LvA (S. 295). Allerdings wird in der Arbeit auf S. 63-68, 114-116 der Fluchtweg von Theodor Kremhart recherchiert, von dem der Autor aber nicht weiß, dass er mit LvA identisch ist. Dass LvA unter dem Decknamen Kremhart 1949 in Argentinien eingereist ist, war schon 1970 durch die argentinische Presse bekannt geworden).
- Bettina Stangneth: Eichmann vor Jerusalem. Zürich-Hamburg 2011, 656 S. (enthält auf S. 371-380 einen speziellen Abschnitt über LvA und ein 1957 in Buenos Aires von Willem Sassen durchgeführtes Interview mit ihm).
Der obenstehende Artikel beschränkt sich auf die reine Darstellung belegbarer Fakten, die im Wesentlichen aus uns zugänglichen Primärquellen zusammengestellt wurden. Auf die in der Sekundärliteratur oft zu findenden sachlichen Fehler und nicht belegten Tatsachenbehauptungen kann in diesem Rahmen nicht eingegangen werden, da hierfür weitergehende quellenkritische Analysen erforderlich sind, die bisher nur partiell vorgenommen werden konnten. Insofern ist die Arbeit an diesem Artikel nicht abgeschlossen, zumal auch die allgemeine Forschung immer noch neue Erkenntnisse gewinnt.